Kultobjekte
im Netz: Websites, Videos, Flash-Animationen
- Kultiges, das entweder besonders innovativ
ist oder einfach nur Charakter beweist und
so aus der Einheitsmasse des virtuellen
Informationswirrwarr hervorsticht. Doch
ist Kultstatus planbar?
Wer
an "Kultmarken" denkt, dem kommen
zu aller erst Klassiker in den Sinn. Traditionelle
Marken wie Mini, Landrover, Apple oder den
legendären Commodore AMIGA kennt fast
jedes (erwachsene) Kind. Sie alle glänzen
durch Eigensinnigkeit und werden
trotzdem oder gerade deshalb von ihren Anhängern
geliebt und verehrt. Doch Websites? Hier
fällt einem, wenn überhaupt, nur
eine handvoll URLs ein. Und wirklichen Kultstatus
wird dabei nur wenigen Projekten zuerkannt.
Woran liegt das? Was ist "Kult"?
Und kann man sein geliebtes Internet-Projekt
gezielt mystifizieren?
Innerhalb
von nur ein paar Jahren entwickelte sich
flickr.com zur absoluten Kultmarke[1]
Kult als Marketing-Strategie?
Eins
vorweg: Radikal formuliert, gibt es nur
zwei Möglichkeiten einem Online-Projekt
Kultstatus zu verleihen:
- sein
eigenes Ding durchziehen, sprich seine
Ideen umzusetzen, ohne sich dabei von
anderen leiten zu lassen oder
- sich
an erfolgreichen Kultmarken zu orientieren
und Strategien und Taktiken abzuleiten,
die das Zeug in sich bergen, das eigene
Angebot gezielt zu mystifizieren.
Dabei
ist beiden Vorgehensweisen kein garantierter
Erfolg vergönnt. Es liegt in der Natur
der Sache, dass Kult und Kultstatus untrennbar
mit der Zielgruppe verknüpft sind,
an die sich das jeweilige Angebot richtet.
Nur wenn diese einen symbolischen Zusatznutzen
wahrnimmt und diesen auch für entsprechend
wertig erachtet, kann sich der Kultstatus
eines Online-Projekts überhaupt entwickeln.
Die
Definition von Kult-Marketing liest sich
dementsprechend unverbindlich:
Kult-Marketing:
Methode des Marketing, bei der gezielt
auf die Mystifizierung und Symbolträchtigkeit
einer Marke abgezielt wird. Dabei wird
der eigentliche Produktnutzen überlagert
und ist als Kaufauslöser gar nicht
mehr entscheidend. Hat man seiner Marke
diese faszinierende Wirkung anbinden können,
kann z.B. die Kundenaquise oder Preisfestsetzung
nach neuen Kriterien erfolgen [2].
Kult-Marketing
heißt also, verkürzt gesagt,
ein Produkt oder eine Dienstleistung so
zu positionieren, dass Konsumenten
sie als besonders faszinierend erachten
und deshalb durchaus dazu bereit sind, unter
anderem einen im Vergleich zu Konkurrenzangeboten
weitaus höheren Preis zu bezahlen.
Schön
und gut, aber was heißt das nun konkret?
Was macht ein "Kultobjekt" überhaupt
aus? Und kann man die "Kult-Wahrnehmung"
beeinflussen?
Kult und Kultobjekte
Der
Begriff Kult hat seinen Ursprung in der
Religion und bezieht sich ganz allgemein
formuliert auf die "Anbetung"
und "Vergötterung" des
Übernatürlichen. Auch wenn früher
der "Kult" vor allem als Beschreibung
aller religiösen Verhaltensweisen im
Rahmen der Gottesverehrung definiert wurde,
spricht man heute in der Alltagskultur eher
von "Geheimwissen" um ein
Objekt. Das "Kult"-Attribut verleiht
dabei einen besonderen Nimbus, der
den Gesprächsgegenstand einzigartig
macht und aus der Masse hebt. Jeder, der
sich am Kult z.B. durch Besuch einer bestimmten
Website, Mitglied in einem abgefahren Forum
oder Konsum eines außergewöhnlichen
Produkts beteiligt, fördert letztendlich
die Gemeinschaft der Kult-Gemeinde[3].
Ein
"Kult" umfasst also in jedem Fall
folgende drei Aspekte:
-
ein Objekt (um das
sich der Kult dreht)
-
eine Gruppe von Individuen
(die diesen ausführen) und
-
eine Reihe mehr oder weniger ritualisierten
Handlungen
Was Konsumenten mit Kultmarken verbinden
Um
sein Online-Projekt gezielt mit dem Kult-Attribut
zu verknüpfen, muss man jedoch nicht
nur wissen was einen Kult ausmacht, sondern
was Konsumenten von Kultmarken überhaupt
erwarten. Das Marktforschungsunternehmen
MediaLogics hat versucht dies auf Basis
von Experteninterviews und einer Internetbefragung
von über 1000 Konsumenten zu ergründen.
Hier ein paar zentrale Ergebnisse der Studie
[4]:
- Kultmarken
setzen Trends
-
Kultmarken verkörpern ein besonderes
Lebensgefühl
-
Kultmarken haben ein außergewöhnliches
Design
-
Kultmarken sind authentisch
-
Kultmarken bleiben sich selbst treu
-
Kultmarken haben eine eigene Tradition
-
Kultmarken machen entweder ausgefallene
Werbung oder gar keine
Natürlich
muss man mit der Interpretation solcher
Studien immer vorsichtig sein, dennoch kristallisiert
sich aus den Ergebnissen der Untersuchung
ein grobes Bild der Erfolgsfaktoren
von Kult-Objekten heraus.
Neben
einem außergewöhnlichen Design,
Authentizität und einem besonderen
Lebensgefühl zeichnet Kultmarken vor
allem eine Unabhängigkeit von aktuellen
Strömungen mittels einer unnachahmlichen
Trendkreation aus. Kultmarken sind also
alles andere als strikt markt- bzw. marktforschungsgetriebene
Angebote. Sie setzen Trends, wo vorher keine
waren und sie vermitteln diese Trends auf
eine einzigartige Art und Weise, die Menschen
fasziniert.
Kult-Marketing im Internet
Die
eigene Kultmarke im Internet zu planen und
umzusetzen, ist also theoretisch möglich.
Doch sein Online-Projekt gezielt zu mystifizieren,
klingt leichter als es tatsächlich
ist. Wer sich auf den ungewissen "Kult-Pfad"
im WorldWideWeb wagt, muss ein paar grundlegende
Regeln beachten und Ausdauer beweisen.
Hier sind ein paar Tipps für Ihre Marketing-Praxis.
1. Charakter beweisen
Das Zeug zum Kult haben nur Online-Projekte,
die sich selbst treu bleiben. Dabei geht
es nicht etwa um ein gleich bleibendes Image,
sondern um Identität. Kultmarken
besitzen einen unverwechselbaren Charakter,
der sie merklich von anderen Online-Angeboten
abhebt. Und nicht nur das: Kultig sind häufig
Websites die bewusst polarisieren,
also absichtlich und von vorne herein bestimmten
Zielgruppen vor den Kopf stoßen oder
sie sogar gezielt ausschließen.
Ein
solches Beispiel sind die HappyTreeFriends.com.
Eine Gruppe von kitschig-niedlich gezeichneten
Comic-Figuren, die allerlei Abenteuer erleben.
Das besondere daran ist, dass alle Erlebnisse
der virtuellen Tiere immer mit dem äußerst
blutigen und perversen Tot eines oder mehrerer
Protagonisten enden.
Das
macht die Serie einzigartig und abstoßend
zugleich. Wenn beispielsweise Lumpy der
blaue Elch über einen Stein stürzt
und sich mit seinem eigenen Geweih aufspießt,
vergeht vielen "normalen" Cartoon-Liebhabern
schnell der Geschmack. Dennoch behielten
die Macher ihr ursprüngliches Konzept
bei und überraschen seitdem mit immer
neuen Ideen und Abenteuern rund um
den Tod der niedlichen Hauptdarsteller.
Als
reines Web-Projekt gestartet haben sich
die "Happy Tree Friends" in den
letzten Jahren zu einer wahren Online-Kultmarke
entwickelt. Mittlerweile hat die im Flash-Format
produzierte Serie so viele Anhänger,
dass sie weltweit auf DVD erhältlich
ist[5].
Die süßen Cartoon-Helden von
Happy Tree Friends sind weltweiter Kult
(Quelle: happytreefriends.com)
2. Emotionen auslösen
Emotionen und Kultmarken sind untrennbar
miteinander verbunden. Zwar empfindet man
selbst für Seife eine gewisse Sympathie
(man mag z.B. den Geruch oder nicht), doch
bei Kultmarken ist das schon etwas extremer:
Sie werden regelrecht von Ihren Anhängern
verehrt und geliebt.
Wer
also nach Kultstatus sucht, muss gezielt
emotionalisieren. Besonders geschickt macht
dies beispielsweise der Event-Shopping-Dienst
woot.com [6]. Jeden Morgen streiten über
50.000 Nutzer darum, die ersten zu sein,
einen besonders günstigen iPod, Apple
PC oder ferngesteuerten Dinosaurier zu ergattern.
Das besondere an Woot: Das Angebot ist jeden
Tag neu. Immer gibt es nur ein stark reduziertes
Produkt. Und immer weiß niemand, wie
groß der Vorrat ist. Fest steht nur,
dass das Angebot täglich um 12 Uhr
Nachts wechselt. Worum es sich letzten Endes
handelt, ist bis zur letzten Minute unbekannt.
Kultstatus
hat Woot jedoch weniger durch die Geschäftsidee
als durch die besonderen Angebote und deren
Beschreibung gefunden. So bietet der Online-Shop
beispielsweise hin und wieder eine Bag
O´Crap (eine Art Negativ-Wundertüte
mit wechselnden Inhalten), eine Launch
Rakete (exklusiver Verkaufsstart eines
Produkts) oder das Woot-Off Abverkaufs-Feuerwerk,
bei dem innerhalb eines Tages eine Reihe
von Produkten im Minuten-/Stundentakt und
bei sinkender Lagerstandsanzeige verkauft
werden.
Der
trockene Humor und die Ehrlichkeit
in vielen Texten und Produktbeschreibungen
fasziniert zudem die Bloggerszene [7]. So
schrieb Woot beispielsweise zur Verdeutlichung
der Vorzüge eines Kompakt-PC-Gehäuses
der Marke FIC:
"FIC's
Ice Brick is even smaller than the Ice
Cube you've seen here before, and smaller
still than the Ice Cube you saw in Anacondas."
Regelmäßig
findet man kurze Hinweise zu besonders gelungenen
Ausführungen in einer ganzen Reihe
von hochfrequentierten Weblogs und Foren.
Mit regelmäßigen Wettbewerben
wie beispielsweise zu fiktiven "Woot-Supermarktprodukten"
aktiviert Woot die Community [8].
3. Neues schaffen
Kult-Projekte sind Trendbegründer,
doch wie schafft man einen neuen Trend?
Schwierige Frage, oder? Zumal es ja auch
noch ein Trend sein soll, der die Menschen
fasziniert und sich von der Masse des derzeitige
Marktgeschehens deutlich abgrenzt. Pauschal
lässt sich so eine Frage natürlich
nicht beantworten. Dennoch gibt es drei
Elemente, die jeder Idee mit Potenzial
vorausgehen:
- ein
gewisses Verständnis des
Zielmarktes und seiner Bedürfnisse
- Wissen
über aktuelle gesellschaftliche
Entwicklungen und
- Kreativität
Einen
neuen Trend zu schaffen setzt also entweder
ausgiebige Recherchen [9] und Kreativitätstechniken
[10] voraus oder einfach nur einen guten
Riecher. Dass letzterer häufig ausreicht,
zeigt die findige Idee von ein paar amerikanischen
Forschern. Von der zunehmenden Kommerzialisierung
und Professionalisierung vieler Konferenzen
verärgert, erschufen sie die Anti-Konferenz.
Das Konzept: kein Eintritt, kein Programm
- nur ein grobes Leitthema steht
fest.
Hinter
der Idee Unkonferenzen zu veranstalten (auch
"Barcamps" [11] genannt), versteckt
sich jedoch kein anarchistisches Konferenzmodell,
sondern eine Community getriebene Organisationsweise.
So gibt es auf einer Anti-Konferenz, wie
bei einer normalen Tagung auch, Vorträge,
Podiumsdiskussionen und ein abendliches
Beisammensein.
Der
Unterschied zu normalen Konferenzen liegt
vielmehr im Aufbau und der Planung. Anstatt
zentral Themenblöcke zu definieren
und darauf aufbauend Referenten zu akquirieren,
die - wenn möglich - auch noch ihre
eigene Teilnahme durch ein großzügiges
Sponsoring finanzieren, wird bei BarCamps
alles gemeinschaftlich organisiert. So steht
zu Beginn einer Anti-Konferenz das Gespräch
und die Diskussion der Teilnehmer
untereinander. Darauf aufbauend wird ein
Ablaufkonzept entwickelt und Vorträge
gegliedert.
Der Ablaufplan eines BarCamps ergibt sich
erst während der eigentlichen Konferenz
(Quelle: barcamp.org; flickr.com)
4. Die Community begeistern
Wichtigster Bestandteil jedes Kults sind
seine Mitglieder und ihre Begeisterung für
die "Sache". Kult-Marketing im
Internet heißt also Community-Building.
Doch wie baut man eine Community auf? Ein
Beispiel dafür, wie man seine zukünftigen
Käufer (schon vor der Markteinführung)
faszinieren kann, ist das australische
Bier "Blowfly", dessen Entwicklung
und Vermarktung der Unternehmer Liam Mulham
geschickt zusammen mit Tausend Biertrinkern
gemeinsam vorangetrieben hat. 13 Wochen
lang konnten Interessierte über das
Internet in Form von Abstimmungen beispielsweise
das Design der Flasche, die Verpackung oder
die Distributionskanäle mitbestimmen
und sich so an dem Werdegang des Biers beteiligen
[12]. Sogar der Geschmack des Biers wurde
erst nach einer großen Party mit ausgiebigem
Produkttest festgelegt.
Obwohl
Liam Mulham die einzelnen Abstimmungen anfangs
nur über einen kleinen E-Mail-Verteiler
mit Freunden und Bekannten bewarb, entwickelte
sich das Konzept "sein eigenes Bier"
gestalten zu können, schnell zum virtuellen
"Stadtgespräch".
Mittlerweile
hat sich Blowfly auf dem hochkonzentrierten
australischen Markt etabliert und zählt
zu den modernen Kultmarken. Auch viele andere
Unternehmen wie etwa DaimlerChrysler oder
Converse trennen sich mittlerweile von klassischen
Traditionen und binden den Kunden
immer stärker in das operative Marketing
und die Produktentwicklung mit ein [13].
Das Ergebnis: Immer mehr Produkt und Werbekampagnen
mit dem Potenzial zum Kult.
Mittlerweile
bietet Liam Mulham nicht nur Blowfly an,
sondern jeder kann sich online seine eigene
Biermarke erstellen und sich die Kästen
nach Hause liefern lassen [14]
Kultstatus zu erreichen, ist die Kaiserkrone
im Marketingreich. Selten erfährt eine
Marke auf andere Art und Weise so viel Anerkennung
und Akzeptanz. Doch der Weg in die Annalen
des Konsumentenhirns ist lang und beschwerlich.
Wer sein Online-Projekt gezielt mystifizieren
will, muss daher nicht nur Charakter beweisen,
polarisieren oder sich selbst treu bleiben,
sondern sein anvisiertes Publikum gezielt
begeistern, faszinieren und involvieren
können. Nur dann besteht die Chance
auf den eigenen "Kult".
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